Wir sind so total unverkrampft

Die Zeitzone bleibt die gleiche, nur die Hemisphäre polt sich einmal um: Die Fußball-WM steht vor der Tür. Und mit ihr abermals die Debatte über Flaggen. Ein Rückblick zum "Sommermärchen".

Damals hieß es, endlich sei man in diesem Land wieder unverkrampft, könne die Nationalfarben stolz zur Schau tragen. Millionen friedlicher Fans auf Deutschlands weltoffenen Straßen können nicht irren.

Ich weiß nicht, wie es anderen ging. Ich weiß nur, dass ich 2006 durchaus merkwürdige Reaktionen ernten durfte, als ich meine Abneigung gegen das Flaggenmeer ausdrückte. Und zwar keine Reaktionen wie: "Naja, dass ist doch einfach nur ein schönes Sportfest, wir feiern alle, friedlich ... " - sondern Sprüche "normaler" Menschen eines anderen Kalibers.

Es schien mir damals so, als hätten einige nur darauf gewartet, endlich mal jemanden vor sich zu haben, der deutsche Symbole ablehnt. Sofort wurde mir Sätze wie: "Ach komm, das liegt doch jetzt über 60 Jahre zurück" oder "man ist doch kein Nazi, nur weil man Deutschland toll findet" an den Kopf geworfen.

Daraufhin konnte ich immer nur achselzuckend "ja" antworten. Eine skeptische Haltung gegenüber kollektiven Pathos braucht keinen Rückbezug auf den Faschismus der 30er und 40er Jahre - auch wenn diese Zeit natürlich gezeigt hat, wohin eben jene "Unverkampftheit" schlimmstenfalls führen kann.

Das es aber immer just jene waren, die den Bogen zwischen einer "neuen deutsche Leichtigkeit" in Abgrenzung zur Geschichte des Landes schlagen zeigt, dass es mit der "Unverkrampftheit" am Ende doch nicht so weit her ist.

Bedenklich. Mal schauen, ob und wie dieses Jahr darüber "debatiert" wird. Und sollten der Pathos durch ein frühes Ausscheiden der Mannschaft dann doch enttäuscht werden, können wir ja immer noch unsere Interessen mit der Bundeswehr irgendwo auskämpften. Onkel Köhler hat ja nun grünes Licht gegeben.