Viva la Eurotrash!

Manchmal führt die Assoziationsmaschine zwischen den Ohren ein grausames Spiel mit einem. So habe ich mich, angeregt durch den Strapaze-Blog, mal selber auf musikalische Spurensuche meiner Jugend gemacht. Und ich möchte mich heute (wo ich auf gesitteten Partys längst rotweinschwenkend die Frage diskutiere, ob Beth Gibbons auf dem Live-Album von Portishead beim Song "Roads" nun heimlich weint oder nicht) outen: Ja, in den 90ern habe ich Eurotrash gehört! Und zwar bis zum AAAAAAAhbwinken, Party-People!

Vorweg: Ja, Beth Gibbons weint. Dass das mal grundsätzlich klar ist. Wer etwas anders behauptet lügt und hat Portishead nicht verstanden. So. Nun aber zum Wesentlichen.

Hardcore Feelings

Eine meiner größten Helden seinerzeit waren Charlie Lownoise und Mental Theo. Natürlich nicht wegen der Fülle ihrer Musik, sondern weil mich die Single "Hardcore Feelings" (9,95 Mark) mit ihrer geschickten Kombination aus Bässen und lassivem weiblichen Gesang in eine pervers-zuckersüße Welt träumen ließ, in der mir meine erste große Liebe nicht vor dem Kaba-Stand meiner Realschule einen Korb gab, sondern wir durchbrannten. (zum Video)

Liebeswummer

Als meine Fantasie die bittere Realität dann aber nicht mehr wegfiebern konnte, bedurfte es einer Musik, die meine Trauer von damals ausdrücken konnte. Nach einem kurzen und angewiederten Griff zu den Kuschelrock-CDs fand ich die Initialzündung meiner melancholischen Grundhaltung dann bei Dune. Und ihrem zeitlosen Cover des Queen-Songs "Who wants to live forever" (auf ner Bravo Hits, 29,95 Mark). (zum Video)

Und als die Schmerzen dann betäubt, ohne das die Wunden freilich je wirklich verheilt waren - da kam ich wieder in oberflächliche Party-Stimmung. Und blieb aus Bequemlichkeit gleich bei Dune hängen, deren Sängerin mich mit ihren braunen Locken und vollen Lippen doch arg an jene grausame Königin vor dem Kabastand erinnerte. Kurzum, es war an der Zeit für "Can't Stop Raving". (zum Video)

Da wird Mann schwach!

Der blonde junge Mann, der in dem Video fachmännisch die Kopfhörer auf die Lauscher presst, hätte meinen Trauer fast in eine Bisexualität gewandelt. Was, rückblickend auf die meisten Frauengeschichten, vermutlich die strategisch beste Lösung gewesen wäre. Gesehen damals übrigens bei "Hot Clips" im WDR - das war in der Zeit zwischen MTV und YouTube DAS Portal für Musikkenner, die kein Viva empfangen konnten.

Bisexuell - wäre da nicht ER gewesen. Scooter. Der "Endless Summer" wurde zu einem Versprechen, dass sich zwar nie erfüllt hat, von dem ich aber ahnte, dass es zumindest für andere Menschen gilt. Frauen ohne Ende, Sex, Rausch, Unbefangenheit und Party! Und das in jener Jahreszeit, in der ich mich vornehmlich hinter meinem Amiga 500 verkroch und Kohlenhydrate in ihrer schönsten Form konsumierte. (zum Video)

Das Ende einer Ära

Doch man wird älter. Und als auch ich zu den ersten Partys eingeladen wurde und die Mit-Teenies mit "meiner Musik" beschallen wollte, spürte ich die entsetzen Blicke. Also verschob sich mein Musikgeschmack langsam in Richtung Gitarre. Doch das Erbe des Eurotrash sollte nie ganz aus meinem Herzen verschwinden - und in Snap fand ich zumindest einen Interpreten, der komischerweise auch heute noch salonfähig ist. (zum Video)

Und nächste Woche erzähle ich den geneigten drei Lesern, die bis hierhin durchgehalten habe, wie ich von Fury in the Slaughterhouse zu Marilyn Manson kam!